Quantcast
Channel: Gedankendeponie » Literatur
Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Papierflieger: Dan Simmons – Ilium

$
0
0

»Wenn Sie noch nie einen Gott oder eine Göttin gesehen haben, kann ich Ihnen nur sagen, dass sie überlebensgroß sind – buchstäblich, denn Athene misst bestimmt weit über zwei Meter -, außerdem schöner und eindrucksvoller als jeder Sterbliche. Ich nehme an, das ist ein Produkt ihrer Nanotechnik und ihrer DNA-Rekombinationslabors.«

Dan Simmons - Ilium

Dan Simmons: Ilium | 832 Seiten | Heyne TB | EUR 9,95 | Release: 01.10.2007 | ISBN 978-3-453-52354-8

So beschreibt der Historiker Thomas Hockenberry die griechischen Götter, für die er arbeitet. Sie haben ihn wiederbelebt, weil er ein Experte der Ilias, der Sage um die Schlacht von Troja ist. Offenbar tobt die Schlacht aus Homers Werk 1000 Jahre in der Zukunft erneut und die Götter, die auf dem Mars-Berg Olympus Mons wohnen, wollen sein Wissen für sich nutzen.

Eine weitere Handlungsebene spielt auf der Erde. Dort leben genau eine Million Menschen, die von Robotern bedient ein bequemes Leben ohne Anstrengungen führen, nicht mehr lesen können, in Sekundenschnelle von einem Ort zum anderen »faxen« und von denen jeder genau 100 Jahre alt wird. Einzig der 99jährige Harman hat sich seine Neugier bewahrt und möchte mehr wissen, zum Beispiel über den Ort, an den die Menschen nach dem Tod gelangen.

Der dritte Handlungsstrang beginnt auf den Jupitermonden, auf denen »Moravecs« genannte Roboter mit echter künstlicher Intelligenz leben und sich in ihrer Freizeit mit alter menschlicher Literatur beschäftigen. Die Moravecs bemerken ein erhöhtes Aufkommen von Anomalien auf dem Mars, die es zu untersuchen gilt. Sie entsenden eine kleine Einheit, die die Gründe und Ausmaße erforschen und im Notfall etwas dagegen unternehmen soll.

Alle drei Ebenen verlaufen in diesem 832 Seiten starken Epos parallel und wechseln sich kapitelweise ab. Erst zum Ende hin beginnen sie sich zu überschneiden und zu einem Ganzen zusammenzufügen. Das gelingt Simmons auf sehr geschickte Art und Weise und es führt zu einem hohen Grad an Abwechslung.

Großen Respekt verdient der Autor für den Transfer der homerischen Ilias in ein Science Fiction Szenario. Bis auf wenige Ausnahmen sehr detailgetreu und äußerst korrekt beschreibt er diverse Episoden der Ilias und der in ihr handelnden Personen. Ein Fest für Althistoriker und -philologen. Auch andere klassische Literatur, Shakespeare und Proust werden von ihm adaptiert und für seine Zwecke neuinterpretiert.

Simmons benutzt in seinem Werk das Stilmittel, den Leser teilweise völlig im Unklaren zu lassen. Da werden Begriffe und Namen benutzt, mit denen man zunächst absolut nichts anfangen kann, bevor sie sich nach einiger Zeit entweder von selbst erschließen oder erklärt werden. Hilfreich ist auch das Personenverzeichnis am Ende des Buches, das über so manches mehr Informationen gibt, als im Text erwähnt wird, aber auch diverse Fragen offen lässt. Der Leser ist zu keinem Zeitpunkt schlauer als die handelnden Person.

Wer die »Ilias« zumindest in groben Zügen kennt, wird beim Lesen eindeutige Vorteile haben und viele (auch ironische) Anspielungen überhaupt erst verstehen können, was den Genuss beim Lesen deutlich erhöht. Zwingend notwendig ist es aber nicht, ebenso wenig muss man Shakespeares »Der Sturm« oder Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« kennen – doch wenn man es tut, ist es durchaus ein kleiner Bonus.

Zwischen der Science Fiction und den literarischen Anspielungen befinden sich auch manche Kapitel, die man auch einem Abenteuerroman zuschreiben könnte. Und auch ein bisschen Horror ist in die Geschichte mit eingeflossen. Dabei wirkt nichts aufgesetzt.

Am Ende, wenn die Handlungsstränge langsam zusammenfließen, geht auch dem Leser nach und nach ein Licht auf. Dabei wird zum Glück nicht am Ende alles eilig aufgeklärt, Simmons nimmt sich Zeit und reicht einem stets kleine Häppchen, lässt aber genug Fragen für den Folgeband »Olympos« offen, in dem die in ihrem Verlauf geänderte Ilias ihren Fortgang findet und den man, möchte man ein richtiges Ende haben, unbedingt mit einplanen sollte.

Fazit: Simmons hat mit »Ilium« etwas scheinbar Unmögliches möglich gemacht, nämlich den »unwandelbaren« Stoff der homerischen Ilias in ein Science Fiction Szenario umgebaut. Daraus ergibt sich, gepaart mit den anderen beiden Handlungssträngen, ein in vielerlei Hinsicht anspruchsvolles Epos, das trotz seiner Länge nie langweilig ist und den Leser stets bei der Stange hält. Wer sich auch nur ansatzweise für Science Fiction und/oder die griechische Sagenwelt und speziell die Ilias interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Wertung: 9 von 10

Link-Container:
Heyne Verlag / Autorenseite
Ilium bei Amazon kaufen


Copyright © 2006-2012
Dieser Feed ist nur für den persönlichen, nicht gewerblichen Gebrauch bestimmt.
Eine Verwendung dieses Feeds auf anderen Webseiten verstößt gegen das Urheberrecht. Wenn Sie diesen Inhalt nicht in Ihrem News-Reader lesen, so macht sich die Seite, die Sie betrachten, der Urheberrechtsverletzung schuldig. (digitalfingerprint: 5zgkjgg876edui66789gv)

flattr this!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Latest Images

Trending Articles





Latest Images